Beweis es dir

und allen anderen

Unterwegs mit Gerda: Mit ihrem Motorrad kämpft sich Meghann durch den Berliner Großstadtdschungel

Unterwegs mit Gerda: Mit ihrem Motorrad kämpft sich Meghann durch den Berliner Großstadtdschungel

Eine Frau unter Männern – das funktioniert nicht. Zehn Jahre lang war das die eiserne Regel auf der Feuerwache Prenzlauer Berg. Bis vor eineinhalb Jahren Meghann kam. Sie wurde sogar angeworben, weil sie so gut in den Trupp passt. „Wir sind ein Rudel, eine Familie“, schwärmt sie heute und lädt mich ein, auf eine Tour durch Berlin.

Frauen verboten

Wir starten mit Meghanns „Safe Space“, der historischen
Feuerwache Prenzlauer Berg. Im ersten Stock befinden
sich neben Aufenthaltsraum und Speisesaal einige Zweibettzimmer. Meghann geht rüber zu ihrem Schrank und steckt den Schlüssel ins Schloss. Stolz präsentiert sie die Innenseite der Schrankwand: Ihr Motivationsboard, auf dem ihr Freunde und Familie entgegenlächeln. Gegenüber ein unbezogenes Bett, auf dem sich die Feuerwehrfrau zwischen den Einsätzen ausruht. Meist nur kurz, bevor sie der nächste Alarm aufscheucht. Das Zimmer teilt sie mit einer Kollegin. Heute arbeiten vier Frauen in der ehemaligen Männerdomäne. Frühere Bedenken haben sich seit Meghanns Anwesenheit aufgelöst.

Die denkmalgeschützte Wache darf baulich nicht verändert werden. Wer eine Rutschstange erwartet, sucht hier vergebens. Für moderne Einsatzfahrzeuge sind die roten Tore längst zu eng geworden. Kommt der Trupp vom Einsatz zurück, steigen Meghann und ihre Kollegen aus und klappen die Seitenspiegel ein. Rückwärts quält sich der Maschinist in das Backsteingebäude, gerade mal eine Hand breit Spielraum bleibt ihm. Meghann und ihre Kameraden winken ihn bis ans Ende der Halle. „Alle helfen dir, niemand lässt dich allein“, erklärt sie.

Blondes Haar, schwarzer Lidstrich, Leggings und Crop Top. Am Rücken schwingt ein Turnbeutel, die Mateflaschen klimpern. Meghann greift zum Zipper, öffnet den Reißverschluss und schält sich aus ihrem Hoodie. Muskeln definieren ihren Körper. Tätowierte Mandalas, Pfauenfedern und eine Sonne zieren ihren rechten Oberarm. Am Unterarm hat sie sich ihren Leitsatz stechen lassen: They expect you to have your best day on their worst day. „Die Leute rufen uns, in der Hoffnung, dass wir Leben retten. Das ist meine Motivation, immer über einhundert Prozent zu geben“, erklärt die 26-Jährige.

Ihr Aussehen polarisiert und dessen ist sie sich bewusst.
Heute steht sie zu ihrer Erscheinung und ihren Werten.
Als Teenager war das anders. Meghann war bereits in jungen Jahren den anderen in ihrer Klasse körperlich überlegen. Die reagierten mit Mobbing und Hänseleien. „Einige Kinder waren schon dolle böse zu mir“, sagt sie. Fasziniert von den großen roten Autos trat sie der Jugendfeuerwehr bei. Für manche ein „sonderbarer Verein“ – für Meghann der Rückzugsort, an dem sie akzeptiert wurde und endlich ihre Stärke ausleben durfte.

Auch wenn sich über die Jahre viel verändert hat, die
Feuerwehr wird immer ihr „Safe Space“ bleiben. Wir verlassen die Prenzlberger Wache und marschieren Richtung U-Bahn. Nächster Halt: Kottbusser Tor.

Auf dem falschen Trip

Heroinspritzen pflastern die Treppenstufen des U-Bahnaufgangs. Urin und Kot verätzen die Luft. Ein Mann, der zuvor Heroin gedrückt hat, krepiert am Boden. Passanten haben den Notruf gewählt und sind schnell wieder abgedampft. Meghann trifft mit Rettungswagen und Notarzt ein. Ihre erste Erfahrung mit Junkies. Der Notarzt injiziert in Gegenmittel. Als dem Patienten klar wird, dass seine Retter ihm gerade den Trip zerstört haben, flippt er aus und geht mit Fäusten auf die Rettungskräfte los. Weitere Junkies stellen sich am Treppenende in einer Linie auf und versperren den Weg. Nur mit Hilfe der Polizei schaffen es Meghann und ihre Kollegen, zu entkommen.

Heute, zwei Jahre später, verbarrikadieren Wellengitter
mit Stahlketten und Schlössern den ehemaligen Junkie-
Treff. Schreie schallen noch immer die Treppen hinunter.
Meghann blickt auf die Betonstufen. „Ein räudiger Platz“,
kommt es ihr über die Lippen. Ihre Statur, ihr Look und
dass eine Frau auch mal den Ton angibt – damit hätten
viele, vor allem Männer, immer noch ein Problem. „Mir
wurde auch schon ins Gesicht gespuckt“, erzählt sie. Beleidigungen und Schubser kämen immer häufiger vor.

Drei Minuten. So viel Zeit gibt Meghann jedem Patienten.
Und sich selbst. Drei Minuten Zeit, um zu erkennen,
ob jemand wirklich ihre Hilfe braucht. „Egal wo du herkommst, egal wie du aussiehst“, erklärt sie. Drei Minuten voller Respekt. Drei Minuten, die ein Leben retten können.

Wir sitzen in der U-Bahn. Eine Frauenstimme kündigt den nächsten Halt an: Alexanderplatz. Meghann winkt mit dem Daumen nach rechts. Hier steigen wir aus. Die Sonne brennt auf unsere Köpfe, Menschen und S-Bahnen rauschen an uns vorbei. Beruflich wie privat ist der Alex ein Platz, den Meghann am liebsten meidet. Zu viele Touris, zu wenig Berlin. „Die Leute fuckt es ab, wenn wir hier mit Martinshorn und Blaulicht vorbeifahren“, erzählt sie. Es fehle an Berliner Gepflogenheiten, erklärt sie mir. Leben und leben lassen.

„So, jetzt gönnen wir uns ‘ne kühle Mate“, sagt sie. Im
nächstgelegenen Späti blechen wir an der Kasse über
fünf Euro. Touri-Hotspot eben.

Alle ihre Erfahrungen, ob positiv oder negativ, haben
Meghann zu genau dem Menschen gemacht, der sie
heute ist und genau dorthin gebracht, wo sie heute steht.
Gute Momente priorisiert sie; schlechte Momente reflektiert sie und hakt sie ab. Ihr Fazit: „Es lohnt sich, jeden Tag alles zu geben.“ Wofür sie früher gemobbt wurde, verwandelt sie heute in pure Motivation.

Wenn heute Männer im Fitnessstudio auf Meghann zugehen, wollen sie meist eins von ihr wissen: „Wie kann
ich so aussehen und so stark werden wie du?“ Für die
junge Frau die höchste Form der Anerkennung. Die Muskeln, die sie im Gym stärkt, verstecken sich unter ihrer Uniform. Einst wurde sie im Einsatz von einem Patienten bemitleidet. „Schaffen sie es, mich hier runterzutragen?“, äußerte er besorgt. Ein kurzes Schmunzeln, schon hob Meghann den Patienten hoch.