Auf den Dächern Bochums

Unterwegs mit Dachdeckerin Chiara

Gut gelaunt und immer ganz oben mit dabei: Schrauben, Sägen, ordentlich anpacken und das auch noch in luftigen Höhen, das ist genau Chiaras Ding. Sie ist Dachdeckerin und arbeitet im Familienbetrieb in Bochum im Ruhrgebiet schon einige Jahre mit. Der Weg ins Handwerk war dabei eigentlich gar nicht vorgesehen. Die 27-Jährige ist ihn trotzdem gegangen.

Baustelle statt Hörsaal

Immer wieder fallen Regentropfen aus dem weiß-grau bedeckten Bochumer Himmel. Ein kühler Wind lässt das grüne Sicherheitsnetz um das hohe Baugerüst flattern. Chiara und ihre Kollegen stört das wenig. Dämmen, das geht auch bei schlechtem Wetter, versichert sie. Es geht hoch zum Steildach eines Mehrfamilienhauses in Bochum. Dort ist die Firma Bedachungen Monteton damit beschäftigt, dicke Dämmplatten auszulegen und Konterlatten anzubringen. Über ein Gerüst geht es über drei Etagen nach oben.

Das Handwerk hat Chiara erst spät für sich entdeckt. „Ich habe zuerst studiert, aber das war gar nichts für mich“, erzählt sie während einer kurzen Pause. Es folgte eine Ausbildung im Büro der Eltern, doch das reichte ihr bald nicht mehr. „Das Einzige, was Spaß gemacht hat, war mittags mit meinem Vater einmal die Baustellen abzufahren. Und dann dachte ich mir irgendwann, wenn das der schönste Teil vom Tag ist, dann mache ich das doch zum Hauptteil.“ Gesagt, getan – so hat sie ihre Lehre im elterlichen Betrieb als Dachdeckerin begonnen. Von ihrem Vater Ingo Monteton hat sie dabei viele hilfreiche Tipps gesammelt und Möglichkeiten bekommen, auch Sachen auszuprobieren, die nicht alltäglich am Bau gebraucht werden.

„Ich habe sie immer woanders gesehen“

Dabei waren Chiaras Eltern am Anfang gar nicht so begeistert vom Berufswunsch der Tochter. Mutter Claudia wollte, dass sie studiert und auch etwas von der Welt sieht. „Ich habe sie immer woanders gesehen, als hier in unserer Firma. Und das schlimmste war, als sie dann noch eine Lehre als Dachdeckerin hier machen wollte“, erzählt sie.

Nach der Bürolehre schmiedet Chiara zusammen mit Vater Ingo ihren Plan. Mama Claudia erinnert sich:

Auch Ingo Monteton hatte zunächst seine Zweifel. Für ihn stand fest, dass seine Kinder studieren sollten. Aber beide mussten bald feststellen: Was sich Chiara in den Kopf setzt, das zieht sie auch durch. Und heute steht für Claudia fest: „Wenn ich so sehe, was sie alles auf die Beine gestellt hat, da bin ich unglaublich stolz.“ Was allerdings immer bleibt, ist die Angst, wenn Chiara auf steilen Dächern arbeitet. „Die eigene Tochter da oben zu sehen, ich muss auch sagen, das ist ein Gedanke, da befass ich mich nicht viel mit“, sagt sie.

Ein Job ohne Winterdepression

Chiara ist lieber draußen an der frischen Luft, als den ganzen Tag im Büro zu sitzen. Das macht für sie den Dachdeckerberuf auch so besonders. Natürlich sei man dadurch auch dem Wind und Regen ausgesetzt. „Aber ich bekomm nicht diese Winterdepression. Ich bekomm wirklich die vollen Lichtstunden am Tag mit“, sagt sie. Tatsächlich scheint das Nieselwetter keinem der Mitarbeiter etwas auszumachen. Im Baustellenradio läuft ein Ballermann Hit nach dem anderen. Chiara und ihre Kollegen sind konzentriert bei der Arbeit und kommen zügig voran. Für den einen oder anderen Scherz ist trotzdem genug Zeit.

Die Dachdeckergesellin schätzt die Arbeit im Team. „Es gibt keine Aufgabe, die man alleine löst. Es macht so viel Spaß, nicht so ein Alleinkämpfer zu sein, sondern dass man im Team die ganzen Sachen meistert.“ Und das ist auf der Baustelle sichtbar. Während der eine den Kran bedient, um schwere Pakete mit Dämmmaterial aufs Dach zu bringen, schneidet der nächste die Platten zu und wirft sie dann zum Dritten hoch, der den festen Schaumstoff sicher verkeilt und fixiert. Große Absprachen sind nicht nötig, die Handgriffe und Abläufe sind selbstverständlich. Auch abseits vom Dach bleibt die Gemeinschaft. In der Mittagspause bestellen alle gemeinsam Pizza. Weil es immer noch regnet, sitzen die Dachdecker im Treppenhaus und unter dem Gerüst vor dem Hauseingang und essen gemeinsam. Nach der Arbeit bleiben einige da und genießen zusammen ein Feierabendbier.

Nicht zu unterschätzen

Wie wahrscheinlich jeder Job hat auch die Dachdeckerei ihre Schattenseiten. Da ist natürlich das Wetter. Dachdecker müssen im Winter auch bei Wind, Regen und Kälte stundenlang auf dem Dach arbeiten. Im Sommer hingegen brennt die Sonne bei 30 Grad im Schatten runter. Ein körperlich anstrengender Job unter extremen Bedingungen. „Man darf das nicht unterschätzen“, sagt Chiara. Auf dem Steildach ist Balance gefragt. Über steile Leitern aus angeschraubten Latten geht es ständig hoch und runter. Lange Schrauben müssen mit ordentlich Kraft in das Dach gebohrt werden.

"Wir haben das Faxgerät ausgestöpselt"

Allerdings hat sich mit der Zeit auch einiges geändert. Die Firma Monteton beispielsweise besitzt einen Kran, mit dem schwere Lasten nach oben auf das Dach geschafft werden. Außerdem setzen sich Chiara und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Luca dafür ein, die Digitalisierung im Betrieb voranzubringen. „Als mein Bruder dann kam, haben wir das Faxgerät komplett ausgestöpselt“, erzählt Chiara. 25 Jahre lang lief alles mit Papier. Das umzustellen, sei eine Herausforderung, aber machbar. Anstatt handschriftlicher Stundenzettel ist mittlerweile jedem Fahrzeug und damit jedem Team ein Tablet zugeordnet. Stunden, Aufmaße, Zeichnungen und Kundenmanagement laufen digital.

Wie in vielen handwerklichen Berufen herrscht auch in der Dachdeckerei Fachkräftemangel. Chiara setzt sich dafür ein, Kindern und Jugendlichen den Beruf näher zu bringen. Oft fehle die Vorstellung davon, was ein Dachdecker macht. „Viele hören vielleicht nur vom Opa, der 40 Jahre auf dem Bau geschuftet hat, aber das ist ja nicht mehr so wie früher“, sagt die 27-Jährige. „Und wir im Betrieb können uns jetzt nicht beschweren, wir haben jedes Jahr ein, zwei Azubis, die wir ausbilden dürfen.“

Inspiration auf Social Media

Ihre Begeisterung für das Handwerk und die Dachdeckerei teilt Chiara mit ihren Followern auf Instagram und TikTok. Weil es eben etwas Besonderes ist, als Frau Dachdeckerin zu werden, begannen Luca und Chiara damit, Sachen auf Instagram zu posten. Damit, dass ihnen einmal über 120.000 Menschen folgen, haben sie nicht gerechnet. „Ich war schon immer bei Instagram privat unterwegs, da habe ich einer Dachdeckerin gefolgt. Die fand ich so cool, die war so ein bisschen eine Inspiration für mich“, sagt Chiara. Also begann sie, sich selbst bei der Arbeit zu filmen. Ihre Kollegen mussten hin und wieder als Kameraleute herhalten. „Meine Fotoshootings mit dem Handy dauern so 15 bis 30 Sekunden, danach hat nämlich keiner mehr Bock“, sagt sie und lacht. So zeigt sie auf ihrem Account tatsächlich Schnappschüsse. Hin und wieder kommt das Smartphone kurz raus, ein Bild wird gemacht, dann geht es gleich weiter mit der Arbeit.

Auf einer Ausbildungsmesse gelang Chiara der virale Hit

Schreibst du das jedem?
Oder ist das jetzt nur, weil ich eine Frau bin?

Die 27-Jährige will mit Klischees aufräumen. „Wichtig ist mir, dass es authentisch ist. Die Leute sollen nicht das Gefühl haben, ich stell mich nur für Instagram hin. Das, was ich zeige, mache ich wirklich, ob das Handy jetzt filmt oder nicht.“ Natürlich gibt es auf Social Media auch Kritik, teilweise für Kleinigkeiten. Manchmal zweifelt Chiara daran, ob es dabei wirklich um fachliche Fragen geht oder einfach nur darum, dass sie als Frau Dachdeckerin ist. „Schreibst du das jedem? Oder ist das jetzt nur, weil ich eine Frau bin?“, ist dann ihre Reaktion. Und wenn wirklich jemand ihre Kompetenz aufgrund ihres Geschlechts anzweifelt, hat sie ebenfalls eine klare Antwort parat: „Das, was ich zeige, das wurde mir halt von Männern beigebracht.“

Chiara über Kritik auf Sozialen Medien

Die Zukunft im Handwerk

Für Chiara ist klar, dass sie ihren Weg als Dachdeckerin fortsetzen will. Im Spätsommer besucht sie einen Meisterkurs. „Da werde ich neun Monate auf die Meisterprüfung vorbereitet. Und dann darf ich mich Dachdeckermeisterin nennen, hoffentlich“, sagt sie. Das große Ziel: Gemeinsam mit ihrem Bruder Luca will sie das Familienunternehmen weiterführen.

Chiara, ihr Bruder Luca und Vater Ingo schauen der Übergabe positiv entgegen:

Sie und ihr Bruder sind bereits heute ein eingespieltes Team und auch Luca ist zuversichtlich, dass sie die Aufgabe, ein Unternehmen zu führen, gemeinsam stemmen können. „Wir haben das Glück, dass unser Vater uns langsam ranführt und wir in kleinen Schritten mehr Verantwortung übernehmen können.“ Ingo Monteton sieht den Übernahmeprozess ebenfalls positiv. „Ich freue mich, das ist eine tolle Sache.“ Die Veränderungen, die seine Kinder möglicherweise ebenfalls mitbringen, sieht er gelassen. Sicher sei es manchmal schwer, immerhin hat er die Firma vor fast 30 Jahren selbst aufgebaut. Doch wie bisher hat er gelernt: „Man muss die auch einfach mal machen lassen.“ Denn am Ende sei jeder Schritt, jede Erfahrung, wertvoll.